Newsreport im Interview
Eine ukrainische Schülerin spricht über den Krieg und wie es ihrer Familie geht
"Ich fühle mich manchmal schuldig, weil ich hier in Sicherheit bin und meine Familie in der Ukraine nicht unterstützen kann."
Uliana Lukasheva ist seit 2019 Schülerin der Max-Bill-Schule und macht im Sommer ihr Abitur. Danach soll sie zurück in ihre Heimat, die Ukraine, wo Krieg herrscht. Im Interview spricht sie über den Konflikt und wie es ihrer Familie geht.
Das Interview führten die Schülerinnen und Schüler des Grundkurses Geschichte (GO, Q4, GEH) in Zusammenarbeit mit der Schülerzeitung "Newsreport":
Was waren deine Gedanken, bzw. Gefühle, als du die ersten Nachrichten über die russische Invasion gehört hast? Das war der 24.2. Wir hatten an dem Tag Klausur und ich habe Tagesschau auf dem Weg zur Schule gelesen. Ich war schockiert, durfte aber während der Klausur mein Handy nicht benutzen und so die Nachrichten nicht verfolgen. Ich habe gedacht, die Russen gehen in meine Stadt und habe mir Sorgen um meine Familie gemacht.
Wie geht es deiner Familie?
Meine Stadt – Saporizhia – liegt im Südosten der Ukraine und hat etwa 800.000 Einwohner. Da ist es im Moment wesentlich ruhiger als in Charkiw oder Kiew. Meine Familie hat aber trotzdem Angst. Sie schauen sich die vielen Videos im Netz an, die von ganz normalen Menschen aufgenommen wurden. Man sieht darauf Panzer und Soldaten und man hört Raketen und Explosionen. Meine Eltern führen ein Architekturbüro, das mein Großvater gegründet hat. Im Moment ist es aber schwierig, weiter zu arbeiten, weil alle aus Angst zu Hause bleiben.
Plant deine Familie zu fliehen? Nein, sie sind fest entschlossen zu bleiben. Sie planen sogar als Freiwillige den anderen zu helfen, die Straße zu bewachen und die Soldaten mit Lebensmitteln zu versorgen.
Wärst du jetzt lieber in Deutschland oder der Ukraine?
Ich fühle mich schuldig, weil ich hier in Sicherheit bin und meine Familie in der Ukraine nicht unterstützen kann. Letztendlich schätze ich aber die Möglichkeit, meine Bildung in Deutschland fortzusetzen.
Wie war dein Leben in der Ukraine bevor du nach Deutschland gekommen bist?
Das Leben war nicht total anders aber ich habe mit meiner Familie zusammengelebt und das ist schon ein Unterschied zu meinem Leben in Deutschland, weil ich hier alleine bin.
Wie fühlt man sich, wenn das eigene Land im Krieg ist?
Es tut mir einfach leid. Menschen, egal von welcher Seite, sollten unter solchen Umständen nicht sterben.
Was ist deine Meinung zu Russland und Putin?
Ich würde gerne Russland von Putin trennen. Ich habe viele Verwandte in Russland und die wissen was in der Ukraine passiert ist. Aber es gibt auch Viele, die nur blind glauben, was die russischen Staatsmedien sagen oder sie wollen die Wahrheit nicht wissen, weil sie so ruhiger schlafen können.
War das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine mal anders?
Ja. Die Ukraine und Russland hatten vor 2014 ein gutes Verhältnis zueinander. Die Menschen sind über die Grenzen gefahren, man hat zusammen Urlaub auf der Krim gemacht, man hat sich gegenseitig unterstützt.
Hat sich für euch nach der Annexion der Krim etwas verändert?
Meine Familie war mehr oder weniger direkt betroffen. Wir hatten dort ein Ferienhaus und eine Wohnung. Wir haben dort ganz viele Sommer verbracht. Es kam dann zu Enteignungen und wir haben versucht, zu verkaufen. Das hat aber nicht so richtig funktioniert.
Was empfindest du bei der derzeitigen Solidarität mit der Ukraine?
Um ehrlich zu sein, war das unerwartet für mich, aber ich war sehr froh zu sehen, wie viele Menschen auf die Straße gehen und die Ukraine unterstützen. Das ist wunderschön.
Wie stehst du zu dem Verhalten der BRD gegenüber der Ukraine? Ich bin sehr froh über die Unterstützung Deutschlands. Die Bürger und Bürgerinnen der Ukraine wollen ihr Land verteidigen aber sie haben nicht genügend Ausrüstung dafür. Falls die Waffen ausgehen, haben wir keine Chance mehr.
Was hältst du von den Sanktionen?
Das ist schwierig. Die Männer an der Spitze der russischen und belarussischen Regierung haben die Kosten einkalkuliert. Die Sanktionen treffen aber vor allem auch Menschen, die nichts damit zu tun haben, zum Beispiel meine Freunde in Belarus.
Wie kann der Westen der Ukraine am besten helfen?
Das ist ein bisschen kompliziert. Es wäre natürlich schön, wenn die USA oder Deutschland Soldaten schicken. Andererseits kann das zu einer stärkeren Auseinandersetzung führen und niemand will mehr Opfer sehen. Das ist ein Risiko.
Wo siehst du dich in der Zukunft? Ich soll eigentlich nach meinem Abitur zurück in die Ukraine geschickt werden und danach Antrag auf ein neues Visum stellen, um hier studieren zu können. Aber jetzt weiß ich leider nicht, wie sich die Situation in der Ukraine bis Juni entwickelt, wenn mein Visum ausläuft. Es ist schwer zu sagen.
Was ist deine Hoffnung für die Ukraine?
Ich hoffe, dass es wieder Ruhe gibt, dass die jetzt Geflüchteten wieder zurückkönnen und dass die Ukraine unabhängig bleibt.
Was wünscht du dir für deine Zukunft?
Ich möchte hier studieren und dann wieder in die Ukraine ziehen und im schlimmsten Fall helfen, mein Land wieder aufzubauen.
Newsreport, 03.03.22